Was bringt exzentrisches Lauftraining sprich Bergab laufen

Laufen: Wie sieht exzentrisches Training aus und was bringt es?

Die Beinmuskelkraft und Laufökonomie verbessert sich, wenn wir den Berg hinaufstürmen. Doch wie sieht es aus, wenn wir den Berg hinunterlaufen? Was – bis auf ein ausgiebiges Durchrütteln deiner Knie – bringt es, wenn du Bergab läufst?

Das Berg hinablaufen kann Beinmuskelschmerzen vor allem im vorderen oberen vierköpfigen Oberschenkelmuskel vorbeugen. Diese Schmerzen treten oft auf. Sie entstehen, wenn die Muskeln durch eine höher als übliche Anzahl von exzentrischen Kontraktionen beansprucht wird. Die Muskeln versuchen zu kontrahieren, während sie jedoch defacto gestreckt werden.

Die Ursache liegt darin, dass die Schwerkraft das Knie bei jedem Schritt während des Laufens nach unten zieht, dies führt zu einer Kniebeugung. Genau in dem Moment, in dem die Muskeln kontrahieren (versuchen sich zusammenzuziehen), um eine exzessive Kniebeugung zu vermeiden, dehnt die Beugung den Oberschenkelmuskel. Das kann zu signifikanten Schäden der vorderen Oberschenkelmuskeln führen, weil die daraus wiederkehrende Dehnung (zu der es ungefähr Neunzig mal pro Minute pro Bein kommt) eine enorme Belastung darstellt.

Wenn du einfach dein normales Trainingsmaß absolvierst, haben sich deine vorderen Oberschenkelmuskeln bereits an die damit verbundene Anspannung gewöhnt. Der Protest fällt dann etwas milder aus. Läufst du jedoch tatsächlich mehr Kilometer als du üblicherweise gewohnt bist, kann es zu einem schmerzhaften Protest der vorderen Oberschenkelmuskeln kommen. Wenn du jemals deine Kilometerzahl außerhalb deiner Norm erhöht hast oder einen Halb- oder Marathon gelaufen bist, kennst du das Gefühl.

Doch woher kommen die Schmerzen? Durch mikroskopische Risse im Bindegewebe in den Quadrizeps-Muskelfasern. Hervorgerufen durch das Bergablaufen. Weil das einzelne Bein bei jedem Schritt ein wenig weiter “fällt“ als üblich, verstärkt das diesen auseinanderziehenden, exzentrischen Effekt auf die Quadrizeps Muskeln, Damit ist die Beinbeschleunigung beim Aufsetzten wie ein Aufprall und somit stärker und die Kräfte, die zur Kniebeugung führen, sind dementsprechend ebenfalls größer. Die vorderen Oberschenkelmuskeln versuchen weiter, ihre Arbeit zu verrichten und der Kniebeugung zu widerstehen. Doch sind in diesem Fall die auf ihnen lastende Belastung sehr viel größer.

Bergab laufen schadet den Quadrizeps Muskeln nicht. Auf längere Sicht ist es sogar förderlich, weil sich die Muskeln schnell anpassen. Es ist ein natürlicher Vorgang, wenn diese dem Bergab laufen ausgesetzt werden, sie natürlich schmerzen. Doch wenn du einige Wochen später wieder bergab laufen solltest, sind die Muskeln beträchtlich robuster und weniger schmerzanfällig. Der Effekt ist nachhaltig. Wenn du, nach der Belastung Bergab laufen, also länger laufen möchtest als üblich, werden deine Quadrizeps Muskeln darüber hinaus nicht mehr so schnell schmerzen. Durch den antrainierten Effekt Bergab laufen und dem damit gewonnenen Schutz vor Schmerzen wird sich das auf dein reguläres Training übertragen.

Der 6-Wochen-Schmerzschutz

Durch einen einzigen Bergablaufzyklus kann der Schmerzschutz noch aus anderen Gründen in der Tat bis zu sechs Wochen im Körper anhalten. Wissenschaftler der University of Massachusetts haben vor Jahren über 100 Personen zwei Sätze von maximalen 35 exzentrischen Kontraktionen des Bizepsmuskels im oberen Bereich eines Arms durchführen lassen. Diese bestanden im Wesentlichen aus dem Heben eines schweren Gewichts. Die Bizepsmuskeln wurden durch die Ausführung gezwungen sich zu dehnen, da das Gewicht zur gleichen Zeit gesenkt wurde. Gleiches Prinzip, die Arm-Muskeln versuchten zu kontrahieren, um der Abwärtsbewegung des Gewichts längstmöglich entgegenzuwirken.

Nach diesem nicht alltäglichen Workout erreichten Muskelschmerzen und Muskelanspannung ungefähr zwei bis drei Tage später ihren Höhepunkt. Die maximale Schwellung trat erst einige Tage später auf. Die Bizepskraft reduzierte sich unmittelbar nach der harten Trainingseinheit. Zudem blieb diese zehn Tage unter dem Nennwert.

Sechs Wochen später absolvierten die Testpersonen (ohne ein dazwischen liegendes Bizepstraining), das gleiche Programm. Weniger Schmerzen und einen geringeren Verlust an Muskelkraft verspürten sie deutlich. Irgendwie war die Bizepsmuskulatur durch die vorausgegangene exzentrische Trainingseinheit vor diesen Problemen geschützt worden.

Eine zweite Gruppe von Testpersonen mit gleichen Parametern praktizierte diesen Testversuch erneut. Wartete aber statt der sechs nun 10 Wochen, bis sie ihre Bizepsmuskeln erneut der Anstrengung aussetzten. Sie litten dann an unkontrollierbaren Schmerzen und verloren viel von ihrer Kraft. Was war passiert? Warum konnten sich die Bizepsmuskeln “erinnern“, was vor sechs Wochen passiert war, aber nicht was vor 10 Wochen passiert war?

So wie das Nervensystem diesen Vorgang erlernen kann, kann es diesen auch wieder verlernen. Zu diesem Verlernen scheint es nach 10 Wochen zu kommen.  Eine harte Einheit exzentrischen Trainings “lehrt“ das Nervensystem, wie es die auf besondere Muskeln einwirkenden Kräfte besser kontrollieren und verteilen kann, was seit längerem Wissenschaftler aus Massachusetts vermuten. In der Theorie verringert das die auf die individuellen Muskelfasern einwirkende Belastung. Also wenn eine exzentrische Aktivität die Muskelfasern “zu zerreißen“ droht. Das Nervensystem reduziert damit Muskelschäden und die daraus resultierenden Schmerzen.

An australischen Ratten wurde diese Theorie getestet: Wissenschaftler der Monash University in Australien haben 16 Laborraten fünf Tage lang auf einem Laufband laufen lassen. Acht Ratten ließ man nur bergauf laufen, während die anderen acht nur bergab liefen. Die Kurz-Workouts bestanden aus Trainingsintervallen, mit fünf-minütigen Läufen und 1,5-minütigen Pausen. Gestartet wurde am ersten Trainingstag mit 3 Trainingsintervallen, die sich bis auf 7 Intervalle am 5. Tag steigerten. Moderate 16 Meter pro Minute betrug die Laufgeschwindigkeit in den Trainingsintervallen. Die Quadrizepsmuskeln der Ratten wurden nach fünf Tagen auf Kraft getestet. Abschließend wurde noch eine Biopsie vorgenommen, um die Erkenntnisse zu untermauern.

Bevor ich auf eins der Schlüsselergebnis komme, muss ich erklären was Sarkomere sind. Unter Sarkomer versteht man die kleinste kontraktile Einheit des Muskels. Jede Muskelfaser besteht aus hunderten von Myofibrillen. Eine säulenartige Form mit einem durchschnittlichen Durchmesser von etwa 1µm. Die Enden sind an der Zellmembran einer Muskelzelle, dem Sarkolemm, verankert. Bei Bewegung überträgt sich die Verkürzung der Myofibrillen direkt auf das Sarkolemm. Weitergeleitet wird die Kontraktion auf die ansetzenden Kollagenfibrillen. Die Verkürzung einer Myofibrille wird durch das Ineinandergleiten der Myofilamente (Aktinund Myosin) erreicht. Dadurch verkürzen sich die Längen der Sarkomere und somit der gesamten Myofibrille. 

Und somit komme ich zu einem der Schlüsselergebnisse: Die Quadrizepsmuskelzellen der bergab gelaufenen Ratten enthielten im Vergleich zu den Bergauf gelaufenen Nager ungefähr 10% mehr Sarkomere pro Zelle. Wie ich schon bereits erwähnt hatte, veranlasst das Bergablaufen die Quadrizepsmuskelzellen, die Myofibrillen mit mehr Sarkomeren anzureichern.

Warum ist diese Vermehrung von Vorteil und wie kann sie Muskelschäden und Muskelschmerzen vorbeugen? Tatsache ist, dass sich die Länge der Muskelzellen durch das Berablaufen nicht signifikant verändert. Bedeutet aber, dass pro Muskelzelle mehr Sarkomere vorhanden sind, jedes Sarkomer während der exzentrischen Kontraktionen, bei denen die ganze Muskelzelle sich dehnt, in einem durch Bergabläufe trainierten Muskel weniger dehnen muss. Damit als Resultat weniger anfällig für innere Schäden ist. Eine ziemlich clevere Anpassung.

Wenn du bergab läufst, veranlasst du deine Muskelzellen, mehr Sarkomere zusammenzufügen. Die gesteigerte Sarkomerdichte reduziert deine Belastung der Myofibrillen und schützt dich gegen Schmerzen und Schäden, die aus zukünftigen Bergabläufen und sehr harten und langen Workouts und Rennen resultieren können. Dass die Muskelschäden reduziert werden, bedeutet auch, dass du dich schneller von sehr harten Trainingseinheiten und Wettkämpfen erholst – und schneller für ein anschließendes qualitatives Training bereit bist als jemand mit weniger Sarkomeren.

Es ist kein Zufall, dass kenianische Eliteläufer unaufhörlich mit Bergab- und Bergaufläufen trainieren. Trainierte Kenianer sind mit Sarkomeren übersättigt und dadurch resistenter gegenüber Verschleißschäden. Diese wird sowohl mit sehr schnellem als auch mit sehr langem Laufen in Verbindung gebracht werden. Du solltest auch nicht vergessen, dass die höhere Anzahl an Sarkomeren bedeutet, dass Muskelkontraktionen schneller erfolgen können. Das jedes Sarkomer weniger kontrahieren muss, damit die Gesamtmuskelzelle zusammengedrückt wird. Die Kombination aus verletzungsresistenten, schnell kontrahierenden Muskeln ist das Markenzeichen der kenianischen Läufer.

Umso mehr spricht alles dafür, einen größeren Teil deines Trainings in bergigem Gelände zu absolvieren. Ein paar elementare Dinge solltest du jedoch nicht vergessen, wenn du bergab läufst:

  • Beuge dich natürlich und bequem vor; versuche nicht, den Oberkörper zurückzulehnen.
  • Behalte dich unter Kontrolle, versteife nicht.
  • Lerne, ausbalanciert und koordiniert zu bleiben, da die Schwerkraft die Arbeit für dich übernimmt.

Das Geländetraining ermöglicht es dir, während eines Trainings oder Wettkampfes auf ebener Fläche schneller zu laufen als du normalerweise bergab läufst, ohne Anstrengung, Sauerstoffverbrauch oder Herzfrequenz zu steigern.

Fazit: Wenn du am Berg trainierst, solltest du daran denken, dass dein Bergauf-Lauftraining zwar deine Laufökonomie verbessert und dass die Bergab-Läufe eine sehr positive Auswirkung auf dein Laufen haben. Die Sarkomere deiner Beinmuskelzellen vermehren sich beim Bergab-Lauftraining. Diese zusätzlichen Sarkomere beschleunigen deine Schritte und helfen dir, in Zukunft frei von Schmerzen und Verletzungen zu bleiben. Es wird dir erlauben, regelmäßiger zu trainieren und ein fitter Sportler zu werden.