Der Wecker klingelt. Um 6 Uhr ist die Nacht vorbei und die am Vortag durchdachte Routine startet: Brustgurt, Laufbekleidung mit Startnummer werden angezogen. Mein Frühstück: Wasser und acht Scheiben trockenen Toast. Mmmhhh, sehr lecker. Doch es soll helfen. Wir werden sehen. Laufschuhe, Energieriegel und ein gefüllter Wasserrucksack mit dem BIO Sport plus Getränk sind schon im zugestellten Rucksack vom Veranstalter. Zur Sicherheit wird alles nochmal gecheckt.
Die Anspannung ist deutlich spürbar. Gedankenfetzen schwirren durch den Kopf – die gesamte Vorbereitungszeit wird rekapituliert: Hab ich am Ende zuwenig gemacht? Oder gar zuviel? Hätte ich doch noch mehr Sprints trainieren müssen? Was ist, wenn mich der berühmt-berüchtigte „Mann mit dem Hammer“ trifft? Was ist, wenn die Ernährung der letzten Wochen doch nicht richtig war?
Hätte-hätte-Fahrradkette! Jetzt ist es auch egal. Noch 2 Stunden und es geht los. Also mache ich mich auf den Weg zum Zug und los nach Köln-Deutz zum Start. Im Zug habe ich mich mit Raphaela und Bastian verabredet. Wir drei laufen heute das erste Mal die 42km, haben mal zusammen und auch getrennt trainiert. Das ist halt so, wenn man unterschiedliche Berufe und Arbeitszeiten hat. Basti und ich sind im gelben Start-Block, Raphaela startet im orangenen. Die Startzeiten ergeben sich aus den Zielzeiten, die man dem Veranstalter vorab durchgeben muss. Wir unterhalten uns über alles was uns so bewegt. Und wir merken alle, es kann heute ein guter Tag werden. Am Startplatz angekommen, ergibt sich der Ablauf fast von selbst: Laufschuhe an, Rucksack abgeben und noch der eine oder andere Selfie. Wollen ja sehen wie wir vorher und nachher aussehen. LOL. Noch eine kleine Stärkung und dann geht es in die Farbblöcke zum Start.
Der Start und die ersten Kilometer
Vor uns sehen wir die Pacemaker. In jedem Block sind sie zu sehen. Sie tragen große Flaggen am Rücken mit den Zielzeiten. Hut ab, mit diesen unbequemen Fahnenmasten 42km zu laufen! Doch ich bin mit mir beschäftigt und auch etwas nervös. Der Puls zeigt es an. Rutscht der Brustgurt nicht, sitzt der Wasserrucksack richtig? Die ersten beiden Blöcke haben zeitversetzt ihren Start vollzogen. Jetzt sind wir dran. STARTSCHUSS! Jetzt überqueren wir die elektronische Startlinie und die Pulsuhr am Handgelenk wird mitaktiviert. Basti und ich kommen gut in den Start, laufen sehr ökonomisch und die Zeiten sowie der Puls lassen uns nach einigen Kilometern einhellig zur Meinung kommen: Gut vorbereitet! Wir lassen viele hinter uns und laufen im Flow.
Ein Wehwehchen kommt selten allein
Bei Kilometer 21 bemerke ich auf einmal, dass etwas zwischen meinen Pobacken nicht stimmt. Es reibt und fühlt sich wund an. Ich sage Basti Bescheid, dass er weiterlaufen soll und tauche ab in die Büsche. Taschentuch raus. Kontrolle. ACH DU SCHRECK! Alles voller Blut! WOHER? Wie kann man sich zwischen den Pobacken wundlaufen? EGAL, ADRENALIN schießt hoch! IMPROVISIEREN! Trockenes Taschentuch zwischen die Backen, Hose hoch, auf die Strecke und versuchen Basti wieder einzuholen. Der Puls marschiert so wie ich: roter Bereich! Nicht Gut! Doch Basti ist wieder in Sichtweite! Also dranbleiben!!! Durch den Fokus auf meinen Laufpartner achte ich nicht auf die Wegstrecke – und knicke prompt mit dem rechten Fuß um. Gut, dass der Körper uns das Zaubermittel Adrenalin schenkt. Also Schmerz erstmal im Hinterstübchen geparkt und aufgeschlossen zu Basti.
Nach ein paar hundert Meter merke ich, dass mein linker Fußballen taub wird. Woher kommt das den jetzt bitte auf einmal? Ich merke, dass ich das Tempo nicht mehr halten kann und sage Basti, dass er alleine weiterlaufen soll. Bitte keine Rücksicht auf mich nehmen. Wichtig ist, dass er es schafft, was wir uns vorgenommen haben: Unter 4 Stunden im Ziel.
Mein Weg alleine ab Kilometer 23
Erst ist es ein komisches Gefühl, sich auf einmal alleine durchzuschlagen müssen. Doch es klappt dann immer besser und ich spüre die Verbindung zu den zahlreichen Menschen am Straßenrand – sie spornen mich an. Zudem weiß ich ja, dass an der Laufstrecke an bestimmten Kilometermarken Freunde und Familie warten. Also auf die Zähne beißen. Ich habe viel gehört vom ominösen Kilometer 34, dass er der schlimmste ist. Sorry, aber für mich ging es ab Kilometer 23 los. Ich wusste nicht, welchen Schmerz ich gedanklich zuerst aus meinem Kopf bekomme. Drei (Schmerz-)Baustellen und das Adrenalin ließ langsam nach. Mit einem ökologischen Lauf hatte mein Laufstil nur noch wenig gemeinsam.
Mein einziges Ziel war es jetzt, meine Freunde und Familie und mich selber nicht zu enttäuschen, die mich entweder über Handy trackten oder an der Strecke standen. Als erste standen dann Elke, Thomas und der Terrier Bolle am Weg – und für einen Augenblick war alles vergessen. Die Freude war groß und ich wusste bei Kilometer 30 kommen die nächsten. Da standen sie auch: Matthias mit Freundin und Wolfgang. Auf meine Zeiten und meinen Puls habe ich gar nicht mehr geachtet. Mir war es jetzt viel wertvoller geworden, die Menschen, zu erreichen, die mir ans Herz gewachsen waren und auf mich warteten.
Der schmale Grat zwischen Motivationseinbruch und Motivationskick
An der magischen Kilometerstelle 34 lief mir die beste Freundin meiner Tochter entgegen: Angelina rannte mit mir gemeinsam ein Stück bis wir auf meine Tochter Mara trafen. Das war wieder einer der Momente, wo ich körperlich und auch gedanklich neuen Mut schöpfen konnte. Das hielt sich ein paar Kilometer. Bis kurz vor Kilometer 37! Da zog auf einmal ein Schmerz in mein linkes Bein, den ich so nicht kannte und mich an den Rand zur Aufgabe brachte. Die Verpflegungsstation war dann meine Rettung und die Gesichter auf der anderen Seite. Matthias mit Freundin, Wolfgang und Maureen mit ihrer Familie. Ich sah ihre erwartungsvoll freudigen Gesichter und das spornte mich wieder an. GIB NICHT AUF!!! ES SIND NUR NOCH EIN PAAR KILOMETER!! Mittlerweile hatten mich alle Pacemaker mit den „bis 4 Stunden“-Flaggen überholt. Doch das ging an mir am A… vorbei! Es war halt so. Ab diesem Kilometer war es kein Laufen mehr für mich, sondern nur noch ein Stacksen und Stochern. Diese letzten Kilometer fühlten sich an, als würde jeder einzelne Kilometer mal 10 gerechnet.
Die letzten 400 Meter
Kurz vor dem Ziel musste ich meinen Schmerzen doch Tribut zollen und blieb kurz stehen bis mir dann ein junger Mensch neben mir stehen blieb, mir auf die Schulter klopfte und sagte: „ES SIND NUR NOCH 400 METER! DAS SCHAFFST DU!“ Recht hatte er! Diese paar Meter! Meine Frau wartete schließlich im Ziel und mit Ihr wollte ich das Erreichte auch danach feiern. Im Ziel angekommen wartete auch Basti. Er hatte es geschafft und hatte unsere Zielsetzung gemeistert. Unter 4 Stunden! Wir beide lagen uns glücklich in den Armen. Seine Frau kam etwas später, glücklich und zufrieden ins Ziel.
Ein Cocktail an Emotionen
Freude ist tatsächlich größer, wenn man sie teilen kann. Wir haben es alle drei geschafft, nicht ohne Mühe, aber im Ziel ist erstmal aller Schmerz vergessen. Dafür sorgen die sog. Glückshormone. Aus der ersten Idee eines Halbmarathons wurde das Projekt Marathon und ich glaube im Jahr 2020 sieht man uns wieder am Start.
Mich haben anfänglich Pulswerte und Zeiten getragen, doch in der Phase der Schmerzen und der Zweifel waren es nur noch die Gedanken an meine Familie und Freunde, die gemeinsam mit mir mein Projekt umgesetzt haben. Diese innere positive Einstellung war im Nachhinein das Zünglein an der Waage für mein persönliches Erreichen des Ziels Marathon.
Meine 5 Tipps für Deinen ersten Marathon
- Finde Dein persönliches WARUM für dieses Ziel (Du läufst immer für Dich – nie für andere)
- Suche Dir Trainingspartner mit Herz
- Trainiere mit Spaßfaktor – keiner zwingt Dich
- Trainiere auf dem Untergrund, der auch auf der Wettkampf-Strecke ist
- Hole Dir unbedingt Rat von Finishern, aber lass Dich nicht verrückt machen